„Willst du noch was dazu sagen?“ – „Nein.“
Du drehst den Hahn wieder auf und das Geräusch des rauschenden Wassers erfüllt den Raum.
Es ist wie immer.
Du in der Badewanne.
Ich daneben.
Wir reden.
So vertraut.
Und doch ist alles anders.
Unser Tonfall ist weicher. Unsere Herzen offener. Wir saugen die Worte des anderen in uns auf, sind wie Schwämme für jede kleine Schwingung, die in der Luft liegt. Und es tut gut.
Dich zu sehen, wie du da so vor mir liegst, inmitten der Schaumberge. Wie du erst unter- & dann wieder auftauchst, um kleine Mundfontänen zu machen. Wie ich dich liebevoll anpöble, weil meine Kleidung deswegen jetzt schon nasser ist, als das Handtuch, dass du danach benutzen wirst.
Ich sitze neben der Wanne, meine Haare sind wirr und zersaust und die Augenringe könnten Romane über die letzten Nächte schreiben. Dieser Moment ist so ehrlich.
Komplett und in allem.
Wir sind so ehrlich. So intim. So echt. So, wie wir es eigentlich immer hätten sein sollen…aber aus Angst vor Streit in der letzten Zeit einfach nur noch alles runterschluckten.
Und schwiegen.
Doch dieses Schweigen haben wir gebrochen.
So wie vieles andere. Das „wir“. Uns.
Unseren gemeinsamen Weg, von dem wir dachten, dass wir ihn geebnet hatten.
So wie er auch anfangs war.
Doch die Steine, über die wir mit der Zeit mehr und mehr stolperten, legte nicht irgendjemand aus bösem Willen vor unsere Füße. Das waren wir selbst. So lange, bis wir uns nicht mehr irgendwo festhalten und auffangen konnten…sondern fielen.
Doch das ist Vergangenheit. Die Steine gibt es nicht mehr, weil der Weg sich plötzlich gabelte…und wir beide verschiedene Richtungen wählten. Du für dich. Ich für mich. Aber am Ende doch für uns.
Wenn man neue Wege bestreitet, die parallel zu laufen scheinen…dann heißt das trotz allem nicht, dass sie sich nicht doch irgendwann wieder kreuzen.
Jetzt ist alles gesagt. Wir haben nicht nur uns, sondern auch unseren Herzen Luft gemacht. Um eben nicht nur uns, sondern vor allem unseren Herzen die Luft zu geben, die wir brauchen.
Um die Wunde heilen zu lassen. Und wieder frei atmen zu können.
Wir sehen uns an.
Keiner weicht dem Blick des anderen aus.
Wir sind uns so nah, wie schon lange nicht mehr.
Auch wenn ich weiß, dass ich bald gehen und diese Wohnung, unser Reich, verlassen werde….auch wenn sich bei diesem Gedanken mein Herz immer noch ein bisschen verkrampft…und auch wenn die Sehnsucht nicht nur mich, sondern auch dich in manchen Momenten schier kirre machen wird….so ist es das Richtige. Das, was wir beide brauchen.
Du für dich.
Ich für mich.
Wir für uns.
Keiner hat verloren. Keiner hat den anderen verloren.
Und das ist die beste Basis, um sich wieder neu zu finden…. .
Du dich.
Und ich mich.
Und vielleicht…irgendwann…wer weiß…
wir wieder uns.
Von den Sonnenstrahlen, die über meine Haut tanzen und meine Nase kitzeln, langsam geweckt werden.
Oder vom prasselnden Geräusch des Regens an der Fensterscheibe..und dem guten Gefühl, dass ich noch warm und beschützt unter der Bettdecke liege.
Der Duft meines frisch gebrühten Kaffees am Morgen.
Der erste Schluck, der schwarz und heiß durch meine Kehle rinnt und meinen Lebensgeistern wieder Feuer unterm Hintern macht.
Das leise Miauen des Katerkindes, wenn er mir um die Beine streicht (ohne meine Pyjamahose zu attackieren, weil er sie nicht leiden kann).
Sein wohliges Schnurren oder das kleine, aber doch so starke Gefühl gegenseitigen Vertrauens, wenn er seinen kleinen Kopf gegen meine Wange presst.
Die Nachbarn, die mal nicht schon um 7Uhr morgens mit ihrem schreienden Baby auf dem Flur zu hören sind.
Sondern erst dann, wenn ich schon längst das Haus verlassen habe.
Die Stadt die, auch wenn sie niemals schläft und immer lebt, mich mit scheinbar liebevollen Gesten in den Tag leitet.
Ampeln, die direkt vor mir auf Grün springen.
Keine kamikaze-artigen Fahrradfahrer die scheinbar Attentate auf mich planen.
Oder ein Sitzplatz in der Ubahn neben angenehm riechenden(!) Menschen.
Der Wind, der mir durch die Haare fährt und dabei doch so sanft ist, als wolle er damit spielen..und nicht wie üblich ein Tina Turner-Lookalike aus mir machen.
Menschen, die mein Lächeln erwidern..und solche, die es auch von ganz allein tun.
Mein ipod, wenn er plötzlich genau DEN Song spielt, den mein Herz gerade braucht. Um danach einen noch besseren hinterherzuschießen.
Plötzlich einen Stein oder ein Stück Papier auf dem Boden entdecken, der die Form eines Herzens hat.
Oder einen 5€-Schein.
Der Penner, der sich an mich und die Situation erinnert, in der er mir versprach, die geschnorrte Kippe irgendwann zurückzugeben..und es dann wirklich tut.
Der zuckersüße Duft der Bäckereien, der mir in die Nase steigt..oder das wunderbare Parfüm einer, meinen Weg kreuzenden, Person.
Lachende Menschen.
Älterer Paare, die noch immer Hand in Hand laufen.
Gackernde Teenies, die sich fast in die Hosen pinkeln vor lachen…aber dabei so süß wirken, dass ich sofort mitgrinsen muss. Und ich mich nicht darum schere, ob das jetzt wohl leicht grenzdebil aussehen mag.
Plötzlich, mitten in der Haupstadt, eine Möve hören und an die Herzheimat an der Küste denken..ohne dabei vor Sehnsucht zu vergehen.
Die Hand des geliebten Menschen spüren, die nach meiner sucht. Den Blick in seinen Augen sehen und wissen, dass er nicht nur neben mir..sondern mit mir geht.
Egal wohin.
Ankommen.
Egal wo.
Und am Ende des Tages wissen, dass ich all diese Gefühle auch nur mit einem Wort beschreiben könnte.
Fünf kleine Buchstaben, die mehr Bedeutugen und Variationen für jeden einzelnen haben, als sonst irgendetwas auf der Welt….
Ein Pfiff. Ein kurzes Rucken. Und der Zug rollt..
Wie war das noch bei Kettcar?
„..ein drittel Heizöl, zwei drittel Benzin..und dies ist nur nichts. Und ein Kuss. Und ein Zug nach Berlin… .“
Genau dorthin geht es jetzt wieder.
Obwohl mein ipod mich wieder mit akkuleistungstechnischer Missachtung straft, habe ich den Song doch ganz klar im Kopf. Doch nicht lange, denn den Kampf gegen mein derzeitiges Herz-, & Seelenlied hat er schon verloren…und blendet sich deshalb immer leiser werdend aus meinen Gedanken.
Schon lange hat mich kein Text, keine Melodie, keine so wunderbare Kombination aus beidem so ergriffen, gepackt…und aufgewühlt, wie dieses.
Beim Hören melden sich meine alle Zellen meines Körpers, die Nackenhaare geben Standing Ovations, meine Gedanken fahren Achterbahn und ich muss hart mit mir kämpfen, um die Tränen zu unterdrücken, die mir dabei in die Augen schießen.
Dieser Song berührt Regionen meiner Seele, die lange schon nicht mehr betreten wurden.
Dunkle Flecken die, aus Gründen, ihr Dasein im Schatten fristen, werden nun von allen Seiten bestrahlt.
Lichter aus Tönen.
Flutlichter. Keine Fluchtlichter.
Mit einem Schein der so hell strahlt, dass ich mich nicht mehr verstecken kann.
Öffne dein Fenster… .
Frag nicht warum, tu es einfach.
Atme tief durch…spürst du die Spannung in der Luft, kannst du sie fühlen?
Riechst du das Wage, das Ungewisse…das Abenteuer…?
Ein Sturm kommt auf…millionen Moleküle sammeln & bündeln sich zu einer Armee, einem Wall aus Wolken.
So fest, dass sie Mauern einreißen könnten, leicht wie ein Kartenhaus.
Strecke deine Arme aus dem Fenster, halte sie in den Wind…und wenn die ersten Regentropfen fallen & deine Haut benetzen, zieh sie nicht zurück.
Genieße den wohligen Schauer, der deinen Körper durchfährt..von der Zehenspitze bis zu den Haarwurzeln, wie ein kleiner Blitz.
Du bist wie elektrisiert, deine Sinne schärfen sich und das Blut rauscht nur so durch deine Adern.
Ball deine Fäuste und zeig deine Stärke..öffne sie wieder und lass dich berühren.
Stell dich in den Sturm, versuch dich zu halten… .
Stell dich gegen den Sturm, beharrlich wie ein Fels.
Alles äußere prallt an dir ab, du ruhst in dir.
Nichts kann dich umwerfen, nichts erschüttern. Die Naturgewalt zeigt sich dir in ihrer schönsten, rauhesten und wildesten Form…Du fühlst dich wie ein Teil des Ganzen.
Fühlst dich stark.
Ein Grashalm aus Stahl.
Es wird Zeit, das Fenster zu schließen und während Du es tust, umspielt ein siegreiches Lächeln deine Lippen. Du bist standhaft. Kannst fühlen. Alles in dir aufnehmen, es zu einem Teil deiner selbst werden lassen.
Als wärst du als heroischer Krieger in eine Schlacht gezogen, deren Triumph du nun mit wehenden Fahnen feiern möchtest.
Nichts kann dir etwas anhaben, nichts kann dich aus dem Konzept bringen, nichts…etwas stuppst dich sacht zwischen die Schulterblätter und fällt zu Boden.
Dann an den Arm, die Schläfen….du siehst herunter, hebst es auf und faltest es auseinander.
Und plötzlich wirst du weich, denn damit hast du nicht gerechnet…meine Worte auf diesem Papier jagen dir Sternenschauer über den Rücken und Du, der eben noch als harter Krieger auf seinem imaginären Schlachtfeld gekämpft hat, wirst nun ganz zart..ganz fein.
Dein Herz wird warm und du weißt ganz genau….mit meinen Papierflugzeugen habe ich soeben DEINE Mauern durchbrochen…. .
„..auf der straße tobt der regen, in seinem wagen die musik. er fährt noch einmal durch die gegend..in der sein herz begraben liegt….“ (Olli Schulz und der Hund Marie – „Rückspiegel“)
Mitten ins Schwarze.
Voll auf die 12.
Dieses Song-zitat trifft zur Zeit mein Herz wohl mehr, als alles andere.
Mein Umzug ist seit einer Woche endlich vorbei, ich habe nun (oh ja, jetzt werde ich dieses Zitat missbrauchen..) mehr als „einen Koffer in Berlin“..und alles ist neu.
So neu, dass ich schon gar nicht mehr in der Stadt bin, sondern der Wind mich wieder rausgefegt hat. Aber nicht aus Angst und auch nicht für lange.
Ich bin bei meinen Eltern..in der wahren Heimat.
„Home is where your heart is“, oder?
Nun, dann gleicht mein Herz in den letzten Monaten wohl mehr einem Mosaik, als einem Puzzle. Es ist nie komplett, nie vollständig.
Ein Puzzle beendet man, in dem man das letzte Teil hinzufügt, sich über das fertige Bild freut (nachdem man das Fluchen, die Schimpftiraden und vielleicht auch die etlichen zwischenzeitlichen Zerstörungsversuche liebevoll beiseite drängt) und es wahlweise klebt, um es dann als eine Art „Trophäe“ an die Wand zu hängen.
So kann man es machen.
Jedoch nicht mit einem Mosaik.
Steinchen für Steinchen setzt es sich zusammen, tausende Farben und Formen (die man hier und da gewinnt oder nur durch „Zufall“ findet) reihen sich aneinander und erscheinen beim ersten Betrachten wie das eigene Gemüt – ein großes, buntes Chaos ohne jeglichen Zusammenhang.
Es braucht erst einen gewissen Abstand, ein paar Schritte zurück, um das eigentlich Bild zu erkennen..das einem dann auf einmal ganz plausibel und (im besten aller Fälle) wunderschön erscheint.
Diese „Schritte zurück“ bin ich jetzt auch gegangen und sitze nun wieder in meinem alten Zimmer auf dem Bett, die türkise Wuscheldecke unter und millionen Kissen neben mir & schreibe.
Wie damals mit 13, als die Welt für mich plötzlich anfing aus Worten zu bestehen, die mehr waren als nur ein Mittel zur Kommunikation. Deren Schönheit ich nach und nach für mich entdeckte und sie somit zu einem meiner liebsten Spielzeuge machte. Wie die Musik.
Ich kann und will sie formen, sie gestalten..mit ihnen um mich werfen, sie in die Welt hinausschleudern, oftmals begleitet von einem lauten: „In your face!“, und die sanften, leisen immer ein bisschen länger für mich behalten, bis der richtige Moment vor der Tür steht um sie abzuholen…und sie dann vielleicht mit ein neuen „Freunden“ (den Reaktionen darauf) wieder sicher zu mir zurückzubringen.
Ich greife nach meinem Glas, nehme einen Schluck Weißwein (der gute von einem befreundeten Winzerehepaar, dass ein Weingut an der Mosel hat..wie gesagt, ich bin bei meinen Eltern. Da muss ich nicht im Kühlschrank nach dem Tetrapak suchen.. .) und schaue aus dem Fenster. Ich sehe das Haus unserer Nachbarn, ein Stück des großen Baumes der in unserem Vorgarten steht und sonst nur Himmel…. .
Wolken, die von der untergehenden Sonne angestrahlt werden und dabei mit ihren, teilweise heute wirklich skurrilen Formen (vorhin habe ich einen Comicfrosch gesehen..ich schwöre!), dazu ein bisschen „fehl am Platz“ wirken. Und genau deswegen mein Bild so herrvoragend komplettieren.
Es ist schön hier.
Auch wenn meine Mutter noch immer jeden Abend in mein Zimmer kommt (kurz bevor sie schlafen geht), um mir zu sagen, dass ich doch den „Quatsch“ (= Laptop = Twitter) ausmachen soll, weil ich meinen Schlaf bräuchte. Gegen 22Uhr.
Um mir dann um 5Uhr morgens, wenn wir uns zufällig im Bad treffen weil sie zu dieser Zeit aufstehen muss, zu sagen, dass ich doch wieder ganz fix ins Bett zurück & weiterschlafen solle….ohne auch nur zu ahnen, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht eine einzige Minute im Traumland geweilt habe.
Ich lasse Sie in diesem Glauben. Aus Liebe.
Wenn ich mit meinen 3 Hunden durch unseren Garten gehe und meinen Nachbarn treffe, nennt er mich wieder „die kleene“, wahlweise auch „das engelchen“…um mir dann im nächsten Atemzug einen selbstgebrannten Apfelschnaps anzubieten.
Das alles ist Heimat.
Die Träume meiner Kindheit, die Irrungen & Wirrungen die ich als Jugendliche niemals verstehen konnte oder wollte. Die Orte, an denen ich mit Freunden aus dem Dorf draußen spielte, auf die höchsten Bäume kletterte und aus Sandbergen die grandiosesten Ralleystrecken (sogar mit Tunnel & Brücken!) gebaut habe, die meine Matchboxautos je er-& durchfahren durften.
Die Orte, an denen ich mit meiner Freundin zum ersten mal angetüdelt war und feixend nachts durch die halbe Stadt nach Hause lief. Die Orte, an denen ich nächtelang mit den Jungs von der Band im Proberaum hing, billigen Wein oder Sternburg-Bier trank und sang..einfach nur sang, die ganze Nacht. Der Rückweg auf dem Fahrrad war um 3 oder 4Uhr morgens immer das schönste… und das meine ich ernst!
Ich sang auch auf dem Fahrrad, und das laut!
Die Leute die mit offenem Fenster schliefen, waren nach meinem Vorbeibrausen mit Sicherheit wach….;).
Das alles und mehr kommt einem in ein paar Tagen „Elternurlaub“ in den Kopf, vernebelt manchmal Sinn & Verstand, und macht mich somit noch sentimentaler als ich es eh schon bin.
Aber das ist auch gut so.
Denn hier..genau hier, an diesem Ort..wurde der Grundstein gelegt.
Ich bekam das erste Teil für mein Mosaik…wusste nichts damit anzufangen und legte es wahllos irgendwo beiseite.
Genauso tat ich es auch noch Jahre danach..bis ich das „Kunstwerk“ (wie gut, das „Kunst“ doch relativ ist) bemerkte, auf dem sich mein Leben aufbaut und in welchem es sich gleichzeitig widerspiegelt.
Mein Gott…dieser Eintrag lässt mich uralt erscheinen, oder?
Ich bin fast 25, habe noch nicht mal das Vierteljahrhundert geschafft…aber bin trotzdem stolz auf diese Reflektion. Oder zumindest die Fähigkeit dazu.
Denn das alles hier, alles Erinnerungen, alle Menschen, alle Worte, Töne und Bilder…formen mein Mosaik.